In Witten gelochte Briefmarken

Horst Müller

In Witten gelochte Briefmarken

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Am 2. Juni 1876 verfügte das Kaiserliche General-Postamt in Berlin:

 

Um dem in dem gefälligen Schreiben der Handelskammer vom 25. April, No 627 ausgesprochenen Wunsche zu genügen ist angeordnet worden, daß solche bei den Postanstalten gegen Bezahlung entnommenen Postfreimarken, welche vor ihrer Verwendung eine Firmen- oder sonstige das Eigentum an denselben nachweisende Bezeichnung in Form klein eingelochter Buchstaben pp. erhalten haben, als Freizeichen im Postverkehr zugelassen werden, vorausgesetzt, daß sie als echt und noch nicht gebraucht sicher kenntlich geblieben sind.

 

Diese Genehmigung wurde zum Ende des Jahres 1965 widerrufen. Zu diesem Zeitpunkt wurden in Deutschland praktisch keine Firmenlochungen mehr verwendet, allerdings mehrten sich Fälle, bei denen Marken für besondere, meist philatelistische Veranstaltungen gelocht und als "Raritäten" an leichtgläubige Sammler verkauft wurden. Die Deutsche Bundespost folgte mit der Zurücknahme der Genehmigung einem Wunsche des BDPh (Bund Deutscher Philatelisten e.V.).

Fünf Firmen im Deutschen Reich machten noch im Jahr 1876 Gebrauch von der Genehmigung, ganze 19 waren es bis 1879. Die ganz große Zahl von Firmenlochungen begann mit der Einführung von Briefmarken-Aufklebemaschinen im Jahre 1910.

Die Verwendung von Freistempeln war durch Weltpostvertrag vom 1. Juni 1878 verboten (2. Weltpostkongreß 2.5. – 1.6.1878 in Paris). Postsendungen gleich welcher Art durften nur noch mit Postwertzeichen freigemacht werden. Dieses Verbot wurde erst auf dem 7. Weltpostkongreß in Madrid (1.10. – 30.11.1920) mit Wirkung vom 1. Januar 1922 aufgehoben, nachdem bereits vorher in verschiedenen Staaten Freistempel für den Inlandsverkehr verwendet wurden. Die Entwicklung der Absenderfreistempel dauerte dann noch etwas: Erste Versuchsmaschinen in Deutschland wurden 1923 zugelassen, im Herbst 1925 wurden dann serienreife Geräte ausgeliefert.

Mit der Einführung der Absenderfreistempel ging die Verwendung von Firmenlochungen fortlaufend zurück, das galt besonders für die Briefmarken-Aufklebemaschinen, denn die Arbeitsersparnis beim Freistempeln war doch erheblich größer.

 

 

 

Wie sahen die Geräte zum Lochen der Briefmarken aus?

Anfangs wurden Stanzen verwendet, die einzelne oder zusammengefaltete Marken mit kleinen Löchern versahen.

Die kreisförmigen Löcher mit einem Durchmesser von ca. 0,4 bis 1 mm wurden mittels Hohlnadeln ausgestanzt und die ausgestanzten Papierplättchen in einem Behälter unter der Lochvorrichtung gesammelt.

Ähnlich arbeiteten die Lochungszangen:

 

Mehrfachstanzen wiesen mehrere gleiche Lochungsvorrichtungen auf – im Bild eine Stanze mit 5 Lochungseinheiten. Dabei können geringe Abweichungen der einzelnen Lochungen festgestellt werden – besonders auffällig sind fehlende Löcher bei gebrochenen Nadeln.

Bekannt sind Mehrfachstanzen auch mit 10 Lochungseinheiten = je fünf in 2 Reihen.

In einer Werbung der Firma Ludw. Carl Beck, Nürnberg, Spezialgeschäft für Bürobedarf zu Weihnachten 1912 werden u.a. angeboten:

Briefmarken-Perforier-Pressen

zum Perforieren von Briefmarken mit den Anfangsbuchstaben der Firma, um
dadurch das Verkaufen etwaiger gestohlener Marken zu verhindern.

 

Neben den Preisen für diese Apparate erfahren wir hier auch eine Empfehlung, wie die Lochung erfolgen soll. Die Marken sind übereinander zu legen – das konnte z.B. durch das Falten der Bögen geschehen, so daß damit gleichzeitig seitenrichtige und seitenverkehrte Lochungen entstanden, wie sie ja auch manchmal bei zusammenhängenden Marken zu beobachten sind.

Diese Art der Lochung führte leicht dazu, daß alle acht Lochungsstellungen hergestellt wurden, je nachdem, wie der Bogen gefaltet war und die so entstandene Markenreihe durch die Stanze geführt wurde.

Die mit weitem Abstand am häufigsten in Deutschland gelochten Briefmarken wurden mit Briefmarkenaufklebemaschinen erstellt. Dabei war führend die Maschine vom Fabrikat POKO – hier abgebildet auf einer Versuchsmarke, die als Rollenmarke eingesetzt wurde, um z.B. den störungsfreien Betrieb der Maschine zu prüfen.

Die POKO-Apparate wurden ab 1910 von der Firma DAPAG-EFUBAG (DAPAG = Deutsche Abel-Postwertzeichen-Automaten-Gesellschaft m.b.H.,
EFUBAG = Eisenbahn-Fahrkarten und Billet-Automaten-Gesellschaft m.b.H.)
in Staaken bei Berlin vertrieben.

Im Innern des Apparats befinden sich Vorrichtungen zur Aufnahme von 5 bis 7 Markenrollen.

Nach Einstellung des gewünschten Frankaturwertes wurde mit zweifacher Drehung der seitlichen Kurbel eine Marke gelocht, eine andere, schon vorher gelochte von der Rolle durch Schnitt getrennt, angefeuchtet und auf die Sendung geklebt.

Gleichzeitig erfaßten Zählwerke die Anzahl der von der Rolle verbrauchten Marke und den gesamten verbrauchten Portobetrag – daher der Name POKO = Portokontrolle.

Es gab mehrere Fabrikate von Briefmarkenaufklebemaschinen. Bekannt ist ein weiteres Fabrikat von der Firma Michelius, das allerdings nicht annähernd die Verbreitung fand, wie die POKO-Maschine.

 

 

Die Michelius Apparate hatten für jede Markenrolle eine gesonderte Kapsel mit jeweils eigener Lochungsvorrichtung. Die besonders kleinen Löcher sind deshalb bei den einzelnen mit der Maschine verklebten Marken etwas unterschiedlich angeordnet.

Zur Häufigkeit der verwendeten Lochungsarten habe ich bei ca. 10 000 (von über 18 000) verschiedenen deutschen Lochungen nachfolgende Feststellung gemacht:

POKO

Stanze

Michelius

65,1 %

33,3 %

1,6 %

Bei den Stanzenlochungen konnten 3,2 % als Einzelstanzen und 2,1 % als Mehrfachstanzen nachgewiesen werden – jeweils bezogen auf die Gesamtzahl der Lochungen, für 28 % ist der Nachweis ob Einzel- oder Mehrfachstanze noch nicht gelungen.

 

 

In Witten

sind nach den Feststellungen der Arbeitsgemeinschaft Lochungen insgesamt 23 Lochungen verwendet worden, davon sind 14 mit POKO-Apparaten hergestellt, 4 (?) mit Michelius-Maschinen und 5 mit Einzel- oder Mehrfachstanzen.

Die nachfolgende Aufstellung gibt folgende Erläuterungen zu den abgebildeten Lochungen:


 
 

Kat. Bez.

Art

Stellung

 

nachgewiesener Verwendungszeitraum

 

nachgewiesener Verwender
(vermutlicher Verwender?)

Kat.Bez. = Katalogbezeichnung nach Katalog der deutschen Firmenlochungen
Art = Lochungsgerät (Stanze, POKO, Michelius)

 
Stellung der Lochung in der Marke, von der Vorderseite gesehen:

    1

    2

3

4

 

5

6

7

8

 

Die Abbildungen sind hier nicht in Originalgröße, auf die Angabe der Buchstabenhöhe und der Anzahl der Löcher wird verzichtet.

2.A&G,1Stanze?
1898-1902
nicht bekannt
1.AGW,1 Michelius1
1923-1932
Annener Gussstahlwerk
1.CB,31POKO1
1923-1932
C. Berghaus
2.CMW,1POKO1
1922-1924
C. Modrack, Holz und Baumaterial
2.EMA,1POKO1
1922-1931
Verwender nicht bekannt
2.EPW,1POKO1
1930-1939
Evangelischer Presseverband für Westfalen
1.G&S,7Stanze1
1908-1909
(Graf & Stein, Schneidemaschinenfabrik ?)
1.G&S,11Stanze3
1913
Graf & Stein, Schneidemaschinenfabrik
1.G&S,1Stanze1
1924-1928
Graf & Stein, Schneidemaschinenfabrik
2.GMC,1POKO1,3
1928-1937
Gebr. Müllensiefen /
Deutsche Tafelglas AG
1.GST,1Michelius (?) 
1913-1914
(Graf & Stein, Schneidemaschinenfabrik)

Die folgenden GW-Lochungen vom Gussstahlwerk Witten sind nicht in der Reihenfolge der Katalognummern, sondern in der Reihenfolge ihrer zeitlichen Verwendung geordnet.

1.GW.30Stanze1,3
1896 - 1930
Gussstahlwerk Witten
Ich besitze mehrere Marken, die nur eine unvollständige Lochung – wie hier abgebildet – zeigen. Alle mir vorliegenden Marken zeigen die Lochung in Stellung 1. Beide Feststellungen lassen den Schluß zu, das die Lochungen mit einer Mehrfachstanze erstellt wurden.
1.GW.45POKO1
1910 ?
(Gussstahlwerk Witten ?)
1.GW.11POKO1,3
1911 - 1921
Gussstahlwerk Witten
1.GW.1POKO1,3
1921 - 1924
Gussstahlwerk Witten
3.HW,5POKO1
1920 - 1937
Wittener Hütte
2.LKW,25POKO1
1924 - 1930
Verwender nicht bekannt
1.MSJ,5POKO5
1915 - 1920
(Wittener Seifen-Industrie?)
1.ST,1Michelius(?)1
1917 - 1921
Verwender nicht bekannt
1.ST,2Michelius(?)1
1915 - 1920
Verwender nicht bekannt
1.WD,1POKO1
1925-1927
Verwender nicht bekannt
Stempel ANNEN / Kreis Hörde
1.WST,2Stanze1
1909
Verwender nicht bekannt

 

Die Stellung der Lochung aus POKO- und Michelius-Apparaten sollte nach dem Willen der Hersteller vom Markenbild her aufrecht und seitenrichtig zu lesen sein. Der Mechanismus der Michelius-Maschine verlangte dafür eine umgekehrte Markenstellung in der Rolle. Auf Wunsch der Firma gab die Deutsche Reichspost dann auch umgekehrt aufgerollte Markenrollen heraus, die auf der Banderole durch einen Stern gekennzeichnet wurden.

Wurden solche, für Michelius hergestellte Rollen in der POKO-Maschine verwendet, dann wurden die Marken kopfstehend gelocht und aufgeklebt.
Links normal, rechts kopfstehend.

Umgekehrt galt dasselbe für durch Michelius aufgeklebte Marken. Da standen die Marken Kopf – und hatten die kopfstehende Lochung – wenn normale Rollen verwendet wurden.

 

 

 

Literatur und Quellen:

ArGe Lochungen im BDPh e.V.: Katalog der deutschen Firmenlochungen

Sehnde 1984 – 1998

ANCOPER: Timbres Perfores France et Colonies 2. Auflage 1990

Horst Müller: Aufklebeautomaten für Briefmarken

Wien, Die Briefmarke Nr. 6/1992

Ir. Ruud J. Hammink: MICHELIUS Postwertzeichenaufklebe- und Barfrankierungsmaschine Schriftenreihe ArGe Lochungen Nr. 1 ca. 1992

Ir. Ruud J. Hammink: De geschiedenis van de POKO postzegelplakmachine

NL-5003 DB Tilburg April 1993

Horst Müller: POKO-Lochungen – warum und wie lange?

Lochungen Rundbrief Nr.93 Januar 1997

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